ZDF frontal21

Neue Hinweise zum Tatverdächtigen von Halle: Datenspuren im Internetforum "Meguca"

Neue Spuren des mutmaßlichen Attentäters von Halle, Stephan B., führen zu einem Foreneigentümer nach Lettland und zur ehemaligen NPD-Zentrale in Leipzig.

Weil Sicherheitsbehörden nach dem rechtsextremistischen Terroranschlag nicht gehandelt haben, wurden offenbar Datenspuren in dem Bilderforum "Meguca.org" gelöscht. Dort war das Attentat unmittelbar vor der Ausführung angekündigt worden.

Eigentümer des Forums ist Jānis Pētersons, ein 28-jähriger Softwareentwickler. Bei einem Treffen am Montagabend in der Vorstadt von Riga berichtet er Frontal21, dass ihn auch fast eine Woche nach dem Anschlag keine einzige Sicherheitsbehörde kontaktiert habe. Einiges spricht dafür, dass Foren wie das von Pētersons maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich der Tatverdächtige radikalisiert hat.

Ankündigung des Attentats im Internetforum "Meguca"

Um 11.57 Uhr am vergangenen Mittwoch war die Ankündigung bei "Meguca" erschienen. Stephan B. saß zu jenem Zeitpunkt mit seinem Laptop in einem Mietwagen im Paulusviertel in Halle. Minuten später versuchte er, bewaffnet die Synagoge zu stürmen. Als ihm dies nicht gelang, erschoss er zwei Menschen, auf offener Straße und in einem Dönerimbiss. Weitere wurden verletzt.

In dem Forenbeitrag bei "Meguca" wurde der Livestream des Anschlags verlinkt sowie das "Manifest“, mit dem der Attentäter sein Verbrechen zu rechtfertigen versuchte. Außerdem postete er Pläne zur Herstellung seiner offenbar selbstgebauten Schusswaffen. Der Link auf diese Dateien, die Frontal21 vorliegen, war bei Meguca noch bis Freitag öffentlich abrufbar.

Jānis Pētersons
Jānis Pētersons (Bild: ZDF frontal21)

Sämtliche Hinweise auf Internetforum sind gelöscht

Erst dann wurde der Beitrag nach Angaben von Jānis Pētersons entfernt und mit ihm sämtliche weitere Kommunikation mit anderen Teilnehmern des Forums. Für die Löschung verantwortlich sei ein Moderator mit dem Pseudonym „rakete“, der ein Unterforum von "Meguca" betrieb. Pētersons sagt, er bedauere, die ideologische Umgebung geschaffen zu haben, in der Stephan B.s Terrorpläne aufgetaucht sind. Seit Sonntagabend ist seine Website nicht mehr erreichbar – er hat sie aus dem Netz genommen.

Was Stephan B. bei "Meguca" zuvor noch veröffentlicht haben könnte, mit wem er auf der Plattform womöglich in Kontakt stand oder wer den Gewaltakt dort hämisch kommentierte: Sämtliche Hinweise auf den Autor der Terrorankündigung und sein Publikum sind dem Eigentümer zufolge unwiederbringlich gelöscht.

Wussten deutsche Sicherheitsbehörden von dem Forum?

Wussten deutsche Sicherheitsbehörden von dem Forum? Eine Anfrage von Frontal21 ließ das Bundeskriminalamt unbeantwortet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz verwies auf die für den Fall zuständige Bundesanwaltschaft. Auf eine Anfrage am Dienstag reagierte die oberste Ermittlungsbehörde nicht.

Während der Eigentümer von "Meguca" in der lettischen Hauptstadt Riga lebt, steht der Server der Website nach Frontal21-Recherchen in einem Datenzentrum bei Paris, mitten in der EU. Dort lagen sämtliche Daten von "Meguca" und damit die Ankündigung des Terroranschlags in Halle – wohl bis zum Wochenende. Weder der französische Inlandsgeheimdienst noch der deutsche Bundesnachrichtendienst haben sich hierzu geäußert.

Stephan B. soll 2014 in Leipziger NPD-Zentrale gewesen sein

Ob Stephan B.s mutmaßlichen Kontakte zu Rechtsradikalen nur virtuell waren, ist noch nicht geklärt. Im Interview mit Frontal21 berichtet allerdings ein Aussteiger aus der Neonazi-Szene, er habe den mutmaßlichen Täter im Frühjahr 2014 bei einer Parteiveranstaltung in der ehemaligen NPD-Zentrale in Leipzig getroffen.

In den kurz vor der Tat veröffentlichten Dokumenten lassen sich eindeutige Hinweise finden auf eine Internet-Subkultur, die von Bilderforen wie "4chan" geprägt wurde – eine verstörende Mischung aus asiatischen Comicfiguren, sogenannten Mangas, Meme und Chats mit menschenverachtenden politischen Inhalten. In solchen Foren wurden in diesem Jahr bereits die rechtsextremistischen Terroranschläge in Christchurch, Kalifornien und Texas angekündigt.

Rechtsextremismus-Experte spricht von "globalen Terrorismus"

"Das sind keine klassischen Nazis", sagt der Rechtsextremismus-Experte Miro Dittrich von der Amadeu Antonio Stiftung. Die Täter seien vor allem Männer, die der Meinung seien, sie hätten bestimmte Anrechte, zum Beispiel auf Frauen. Die Kränkung durch den Misserfolg im eigenen Leben schlage bei manchen in Wut um. Statt in einer deutschen rechtsextremistischen Szene hätten sie in einer Art weltweiter Gemeinschaft zueinander gefunden. Dittrich spricht von einem "globalen Terrorismus". "Wir sehen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden für diese Gefahr noch überhaupt kein Konzept haben."

"Wir sehen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden für diese Gefahr noch überhaupt kein Konzept haben."

Miro Dittrich, Amadeu Antonio Stiftung

Der Grünen-Politiker Sebastian Striegel, Mitglied des Landtags Sachsen-Anhalt, fordert nun, die Radikalisierung in solchen internationalen Foren genauer zu beobachten. "Die Taten haben aus meiner Sicht eine internationale Dimension", sagte er am Montag nach einer Sondersitzung des Innenausschusses in Magdeburg. Auch Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) äußerte einen Wunsch: "Ich brauche die Auswertung: Was war in den Netzen?" Es scheint zweifelhaft, dass jemand derzeit in der Lage sein wird, ihm diese zu liefern.

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