Wien, BK Bundeskriminalamt Sicherstellung von Waffen, Munition und Gegenständen nach dem Verbotsgesetz. Bild: BMI/Gerd PACHAUER
BMI/Gerd Pachauer
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Nazi-Netzwerk - Ein österreichischer Waffendealer und die Spuren nach Deutschland

Im November 2022 wird ein Deutscher bei der Einreise nach Deutschland aus Österreich kontrolliert – man finde bei ihm schussbereite Waffen, darunter Maschinenpistolen. Der Fund löst umfangreiche Ermittlungen und Hausdurchsuchungen im Rotlicht-, Rocker- und Neonazi-Milieu aus und offenbart ein grenzüberschreitendes, gewaltbereites rechtsextremes Netzwerk. Doch für wen waren die Waffen bestimmt? Kontraste auf Spurensuche im Osten der Republik.
 
Beitrag von Silvio Duwe, Michael Götschenberg, Daniel Laufer und Markus Pohl

Anmoderation: Es war einer der größten Waffenfunde in Österreich – neben Drogen und Geld fand die Polizei Nazi-Devotionalien und ein Waffenarsenal, mit dem man eine Privatarmee hätte ausrüsten können. Und ein Besitzer dieser Waffen ist offenbar bestens verdrahtet – in die Organisierte Kriminalität und in die Neonazi-Szene. Aufgeflogen ist er, nachdem ein Teil der Waffen nach Deutschland geschmuggelt werden sollten – doch wohin genau ist noch völlig unklar. Unsere Reporter haben sich zusammen mit dem Kollegen Michael Götschenberg aus dem ARD-Hauptstadtstudio auf Spurensuche begeben.

Andreas Holzer, Direktor Bundeskriminalamt Österreich

"Sturmgewehre, vollautomatisch, zwei Steyr AUG, ein leichtes Maschinengewehr, sieben AK47, […] 25 Maschinenpistolen, zweimal 40 mm Granatwerfer, hundert Pistolen, hundert Schalldämpfer für Pistolen, über 1.000 Waffenteile zum fertigen von circa 500 Pistolen der Marke Glock."

Nur ein Auszug aus der Liste von Waffen, die Ermittler am 26. Juni bei Razzien in ganz Österreich gefunden haben – darunter Kriegswaffen. Geschätzter Gesamtwert: 1,5 Millionen Euro. Zum Vorschein kamen auch Nazi-Devotionalien, große Menge Drogen und Bargeld.

Auslöser der Ermittlungen: ein Zufallstreffer an der deutsch-österreichischen Grenze bei Simbach im November.

Ein Deutscher gerät bei der Einreise aus Österreich in eine Zollkontrolle. In einer Sporttasche transportiert er ein ganzes Waffenarsenal: sechs Revolver, eine Maschinenpistole des Typs Sudajew, fünf Skorpion-Maschinenpistolen – eine davon durchgeladen und griffbereit.

Dennis M., damals 40 Jahre alt, ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat – bereits vorbestraft, weil er in Hamburg einen Juwelier ausgeraubt hat.

Im Juli verurteilt ihn das Landgericht Landshut abermals zu Gefängnis – vier Jahre unter anderem für die ungenehmigte Einfuhr von Kriegswaffen. Nur: Für wen hat Dennis M. diese Waffen nach Deutschland gebracht?

Der Journalist Robert Andreasch hat das Gerichtsverfahren beobachtet.

Robert Andreasch, Journalist

"In diesem Prozess ist weder die Herkunft der Waffen, der Weg des Angeklagten und sein Ziel, der Gesamtkomplex des Waffenhandels und des österreichischen Komplexes besprochen worden. Es ist nicht eine Einbindung in Rocker-Netzwerke, in Neonazi-Netzwerke angesprochen worden. Gar nichts."

Im Urteil: kein Wort zum Motiv. Dabei ist Dennis M. laut österreichischen Behörden eindeutig Mitglied der "Bandidos" – einer Rocker-Organisation. In seinem Handy sollen zudem Kontakte ins Neonazi-Milieu eingespeichert gewesen sein.

Wir machen uns auf den Weg nach Niederösterreich – zu dem Hof, auf dem ein Teil der Waffen gefunden wurde. Seit die Polizei hier war, rätselt man in der Nachbarschaft.

Leopold Weidenauer

"Er ist immer vorbeigefahren, immer mit irgendeinem Auto mit der Plane darüber. Aber mehr hat man dann nicht gesehen. Man weiß ja nicht …"

Kontraste

"Auto mit Plane drüber?"

Leopold Weidenauer

"Ja, er ist immer mit dem Anhänger gekommen und es ist immer alles zugemacht gewesen, du hast nie was gesehen. […] Wenn man nachher etwas erfährt über diese Waffengeschichte, ist das sicher keine schöne Sache. Man weiß ja nicht, was er mit denen tut."

Erwin H., 58 Jahre alt, österreichischer Staatsbürger

Sein Anwalt räumt gegenüber Kontraste ein, dass er illegal Waffen besessen hat. Auf einem Grundstück von Erwin H. sei zudem eine große Menge Kokain gefunden worden. Ob sein Mandant mit Waffen oder Drogen gehandelt habe, dazu will sich der Anwalt nicht äußern.

Mindestens vier der 13 durchsuchten Objekte sollen ihm gehören – darunter Immobilien, in denen seine Partnerin Bordelle betreibt. Sie sagt Kontraste, sie habe mit den Vorwürfen nichts zu tun.

Erwin H. und vier weitere Männer befinden sich derzeit in Untersuchungshaft, angeklagt sind sie bislang nicht.

H. saß bereits eine Zeit lang in Österreich im Gefängnis. Auch in Deutschland wurde er offenbar schon verurteilt. Sicherheitsbehörden hätten durchaus Anlass gehabt, viel früher genau hinzuschauen.

Ein schwarzer Fleck in der Einfahrt verdeckt seit Kurzem, was auf dem Hof jahrelang jeder sehen konnte: eine "Schwarze Sonne", Erkennungszeichen unter Rechtsextremisten – in Österreich verboten.

Aufgefallen ist Erwin H. bereits bei Ermittlungen gegen "Objekt 21" – eine als "Freizeit- und Kulturverein" getarnte Neonazi-Gruppierung mit Verbindungen in die Organisierte Kriminalität. In einem Bauernhof in Oberösterreich veranstaltete der Verein Rechtsrock-Konzerte. 2010 wurden bei Durchsuchungen Waffen gefunden, 2013 insgesamt sieben Personen verurteilt.

Ein Zeuge belastete damals Erwin H.:

Zitat

"Wir hätten alles Mögliche von Erwin haben können."

"Erwin hat W. insgesamt sicher vier bis fünf neuwertige AK47 (gemeint sind Kalaschnikows), zwei bis drei Glocks und eine Skorpion-Maschinenpistole verkauft."

Skorpion-Maschinenpistolen, wie sie auch im Juni bei Erwin H. gefunden wurden.

Im zurückliegenden "Objekt-21"-Verfahren soll Erwin H. bestritten haben, mit den Waffen gehandelt zu haben – verurteilt wurde er damals nicht.

Der Rechtsextremismus-Experte und ehemalige Grünen-Politiker Karl Öllinger kennt die Vernehmungsprotokolle – und wundert sich.

Karl Öllinger, stopptdierechten.at

"Mir ist es völlig unverständlich, warum dieser Mensch über mehr als ein Dutzend Jahre seine Waffenverkäufe offensichtlich auch in Bereichen tätigen konnte, wo er mit dem Gesetz in Konflikt kommt."

Ob Erwin H. wegen illegalen Waffenverkäufen jemals belangt wurde, ist unklar.

Wegen der Waffenfunde im Juni festgenommen wurde auch ein guter Bekannter von ihm: Manuel S., Vorsitzender des seither aufgelösten Neonazi-Vereins "Objekt 21".

Die Verbindungen von Manuel S. reichen bis nach Deutschland – etwa nach Sachsen-Anhalt.

Görschen im Burgenlandkreis. Seit 2010 ist dieser Hof fest in den Händen von Neonazis. Auf Satellitenbildern bis vor einiger Zeit auch hier gut zu erkennen: eine "Schwarze Sonne". Das Grundstück gehört einem Verein namens "Agartha".

In dessen Vorstand: Martin C., der in der Vergangenheit für die rechtsextreme NPD kandidierte. Ein Foto zeigt Martin C. mit Manuel S. und zwei weiteren österreichischen Neonazis. Was machten die Männer auf dem Hof in Deutschland?

Versuch einer Nachfrage bei Martin C.

Kontraste

"Markus Pohl ist mein Name vom ARD-Fernsehen, vom Magazin Kontraste."

Martin C.

"Ne. Ne."

Kontraste

"Dürfen wir sie … Wir wollten Sie fragen …"

Martin C.

"Vom Grundstück runter, sofort!"

Kontraste

"Wir gehen runter. Wir wollten Sie fragen zu Ihrer Verbindung zu 'Objekt 21'".

Martin C.

"Raus!"

Kontraste

"Kennen Sie die Leute? Aber Sie kennen die Leute, oder? Die da jetzt festgenommen wurden. Haben Sie auch was mit den Waffen zu tun, die da gefunden wurden? Sie haben da ja enge Kontakte zu den Leuten."

Auf dem Foto mit Manuel S. ist noch ein weiterer Mann zu sehen: Tino K. Auch er engagierte sich bei der NPD. Sein Verhältnis zu Manuel S. beschrieb er im Netz als eine "Bruderschaft".

Über Jahre verkehrte der Deutsche Tino K. im Umfeld von "Objekt 21", er soll auch für eine zum Neonazi-Verein gehörende Firma gearbeitet haben. Das behauptete er selbst auf Facebook.

Hier huldigt er auch den Rechtsterroristen, die 1922 den damaligen Außenminister Walther Rathenau ermordet haben.

Tino K., der wegen eines Gewaltverbrechens bereits im Gefängnis saß, wohnt auf dem Hof in Görschen. Vergangene Woche rückte bei ihm das SEK an: Laut Polizei soll er einem Mann und einer Frau mit dem Einsatz einer Waffe gedroht haben. Die Polizei durchsuchte das Anwesen, beschlagnahmte ein Schwert und eine Armbrust.

Tino K. sagt uns, wir würden das "alles falsch auslegen". Unsere Fragen will er aber nicht beantworten. Stattdessen verweist er auf einen Anwalt in Österreich.

Es ist derselbe Anwalt, der Manuel S. vertritt, der wegen des Waffenfundes im Juni in Untersuchungshaft ist – und aus dessen Umfeld Waffen nach Deutschland geschmuggelt worden sein könnten.

Die Linken-Politikerin Katharina König-Preuss befürchtet, dass frühere Waffenlieferungen über die Grenze erfolgreich gewesen sind.

Katharina König-Preuss (Die Linke), Landtagsabgeordnete Thüringen

"Ich bin mir sicher, dass damit Rocker- und/oder Neonazi-Strukturen unterstützt werden sollten. Ich bin mir sicher, dass die Waffen für die Neonazis bzw. die Rocker-Strukturen gedacht waren. Ich bin mir sicher, dass die die Waffen auch einsetzen wollten."

Der Waffenfund in Österreich deutet auf ein grenzüberschreitendes Netzwerk hin. Wen es längst mit Waffen versorgt haben könnte, ist nicht im Ansatz aufgeklärt.

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Beitrag von Susett Kleine und Daniel Schmidthäussler

Kontraste-Logo + DGS (Quelle: rbb)

Kontraste vom 07.09.2023 (mit Gebärdensprache)

+++ Die Causa Aiwanger: Eine Zäsur für die politische Kultur +++ Nazi-Netzwerk: Ein österreichischer Waffendealer und die Spuren nach Deutschland +++ Staatsleistungen: Streit um Steuermillionen für die Kirchen +++ Moderation Eva-Maria Lemke